Gesellschaftskritik

Wegwerfgesellschaft

In harten, anklagenden Worten rechne ich mit der Gesellschaft ab. Aber warte mal, findet sich da nicht auch ein bisschen Selbstkritik?

von Christian

Ihr seid eine Gesellschaft zum Wegwerfen
zum Krank-werden
zum Aus-der-Haut-fahren:
Beim Groß-werden
große Pläne zu schmieden wie Eisen.
Beim Groß-sein,
große Pläne zu biegen, zu zerreißen,

und dann doch nichts bewegen
nur faul rumzuhocken,
vernarrt in das Leben
das ihr führt, und nichts kann euch schocken.
Denn in eurer Zeit
habt ihr Sicherheit,
die bleibt sicher,
die vertreibt sicher
alles nervig Störende, was sich aufreibt
an eurer Tür, was sich Einlass erfleht.
Die Tür bleibt zu
und ihr ungelebt.

Und das Haus und der Garten und das Auto dabei,
und die Frau und die Kinder – wenn's hochkommt sind's zwei.
Das ist euer persönliches, kleines beschissenes Reich.
Und was draußen passiert ist euch völlig gleich.
Ihr seid hier der König und herrscht über alles.
Die andern sind Feinde und weil's draußen so kalt ist
lasst ihr gnädig hin und wieder Besucher herein,
nur um ihnen zu zeigen wie es sich anfühlt, Besucher zu sein.
Und ihr sitzt dort auf eurem eigenen Thron.
Was andere machen, was kümmert's euch schon?
Hauptsache ist, ihr habt die Sicherheit
und das Wichtigste ist, dass ihr sicher bleibt.
Und was draußen so abläuft, was könnt ihr denn dafür?
Und die Menschheit bleibt draußen
und verreckt vor der Tür.

 

Warum müsst ihr denn immer beweisen und machen,
dass IHR die Starken seid und die andern die Schwachen,
dass ihr euer Scheiß-Zepter in der Hand haltet
und knickrig und knausrig über euer Land waltet.
Anstatt die da draußen in euer Reich zu lassen
lasst ihr sie vergammeln auf den dreckigen Straßen.

Und IHR plustert euch auf und zeigt, wer der Herr ist,
wie großzügig ihr seid und dass das so schwer ist,
idealistisch zu bleiben, denn ihr seid Realist.
Ihr malt eure Taten, damit‘s niemand vergisst,
mit lauten Strichen, denn wer laut ist, hat recht...
und andre sind leise, und denen geht’s schlecht.

Doch ihr erschlagt sie mit Phrasen, die immer gut tönen,
und hohlen Versprechen, … die richtigen, schönen
menschlichen Taten über die Mauern hinweg,
für die Geld wertlos ist und kein Mittel zum Zweck –
diese Taten sind nutzlos für euch, weil man
sie leider nicht steuerlich absetzen kann.

Und so spendet ihr für die Caritas.
Doch ich frage euch: Wem bringt das was?
Denn die Hilfe, die ihr gebt, ist nur um zu glänzen
um euch in eurer Hochmut immer mehr abzugrenzen,
um sagen zu können „Ich helfe der Welt“.
Doch ihr helft den anderen nur noch durch Geld.
Denkt ihr denn ernsthaft, dass das wirklich zählt?

Geld kann man drucken, davon gibt es reichlich
und wenn man es hat, dann heißt's nicht, dass man reich ist
denn das wirklich Seltene, zu jeder Zeit
ist Menschlichkeit.

Ihr grenzt euch ab, baut euren Zaun
und traut euch dann nicht, einmal drüber zu schau'n.
Ihr spendet für Afrika – wie richtig und gut –
doch zum eigenen Vater herrscht giftiges Blut.
Und immer müsst ihr euch lautstark beschweren!
Ihr schafft's nicht mal, euch eurem Nächsten zu nähern.
Euch schlicht umzudrehen,
auf ihn zuzugehen
und den einsamen Mann auf der Straße
auf einen Kaffee einzuladen.
Ihn freundlich wo er herkommt und hingeht zu fragen,
ein wenig Zeit, ja Zeit nur zu teilen,
ihn durch etwas Nähe vom Schicksal zu heilen…
– Jetzt ist es zu spät, zum Glück er ist endlich gestorben.
Bei so 'nem Scheiß-Penner macht man sich ja direkt Sorgen,
dass Sehnsucht und Einsamkeit ansteckend wär...
Und ihr seht euch um, und euer Leben ist leer.
Und ihr habt nicht gecheckt, dass er euer Nächster war,
denn euer Nächster ist nicht weit weg in Afrika,
denn euer Nächster war das!
Doch ihr spendet für die Caritas.

Ich red' nicht von Armut, die bekämpft werden muss,
ich rede von Misstrauen und Ignoranz bis zum Schluss,
Nichtachtung, die uns're Gesellschaft zersetzt.
Verachtung, die ihre Spuren in die Menschheit einätzt.
Statt „einer für alle“ heißt's „alles für mich,
und was ich nicht kriegen kann kümmert mich nicht.“
Statt andern zu helfen das Lächeln zu finden;
ein Lächeln zu schenken für die, die sich schinden;
Der Frau an der Kasse zu zeigen „ich hab Respekt“,
und mehr als nur Mitleid zu heucheln, wenn einer verreckt.

Wer gibt euch das Recht, nach Pralinen zu fragen?
weil's nachts zu laut ist, den Nachbarn verklagen
Er schlägt seine Kinder, euch nervt das Geschrei:
Verklagt sie doch auch noch, was ist denn dabei?
Warum geht ihr nicht rüber, beschwichtigt den Hass?
Euch geht’s ja nichts an… ihr spendet ja schon für die Caritas!

Ich verlange nicht viel, ihr müsst euch nicht verbiegen.
nur and're zu achten, respektvoll zu sein, sie lieben
vielleicht und nicht nur euch selbst.
Ihr seid nicht die einzigen auf dieser Welt.
Und was draußen so abläuft, was könnt ihr denn dafür?
Und die Menschheit bleibt draußen
und verreckt vor der Tür.

(Christian Methfessel, 04.08.2010)

  Zurück zur Newsübersicht

Einen Kommentar schreiben

Was ist die Summe aus 6 und 2?

Kommentare

4) Kommentar von Claudia

Hallo :)

Habs echt intressant gefunden, gut geslämt^^ würd dich aber gerne hören wie dus vorträgst...
Caritas kommt aber zu oft vor:)
glg

Antwort von Christian

es gab mal einen Poetry-Slam von der Caritas. Da hats eigentlich ganz gut gepasst

3) Kommentar von fhm

Freut mich, dass mein Text dich anspricht

Überhaupt nicht.
Ich habe mir daraufhin alle deine hier veröffentlichten Texte gelesen.

Meinst du deine Slam-Texte ehrlich, dann tust du mir leid.
Schreibst du solche Inhalte nur um populär zu sein, dann bist du arm.

Ich vertraue darauf, dass du dich irgendwann von diesen Inhalten distanzieren wirst. Es steckt hoffentlich eine andere Überzeugung in dir!

Antwort von Christian

Doch, der Text spricht dich an und erreicht genau das, wozu ich ihn geschrieben habe. Dass muss dir nicht leid tun

Es geht nicht darum, sich von diesen harten Worten zu distanzieren.
Es geht darum, sich aufrütteln zu lassen (auch wenn's weh tut).

Und vielleicht kann man irgendwann erkennen, dass dieser Text jeden von uns betrifft.
Ja, auch dich.
Und ja, selbstverständlich auch mich.

In jedem von uns steckt ein kleines Egoistenmonster

2) Kommentar von fhm

Völlig daneben.

Markus 10,17-31

Mach' es besser!

Antwort von Christian

Freut mich, dass mein Text dich anspricht

1) Kommentar von Burkhard Geller-Wollentin

Hi Chris,
ich finde das Ding immer wieder klasse.
Einfach treffend getroffen.
Es hebt sich ab von der Masse
und macht richtig betroffen.
Es ist gut, wenn einer auch mal sagt, was er schreibt
und damit in den Köpfen der Menschen bleibt.
Du hast damit sicherlich Viele erreicht
und ich bin sicher - es wirkt - auch wenn es schleicht.

LG Buki

von Christian

Meine Poetry Slam-Karriere

Poetry Slam – Meine Geschichte

Von 2010 bis 2013 war ich aktiver Poetry-Slammer in Franken. Hier erfährst du eine kurze Geschichte meiner Erlebnisse.

Weiterlesen …

von Christian

lebenswert

Dein Leben

"Dein Leben" erzählt, wie wir in unserer heutigen schnelllebigen und vergnügungssüchtigen Gesellschaft unser Leben vergeuden.

Weiterlesen …

von Christian

Jahreszeitenkritik

Der Herbst

In diesem (nicht ganz ernst gemeinten ) Gedicht rechne ich mit dem Herbst ab.

Weiterlesen …

von Christian

Medienkompetenz

Heim.at

Wir sind alle im Internet unterwegs. Aber wissen wir eigentlich, was wir tun? Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema.

Weiterlesen …

von Christian

Nächstenliebe

Homo homini lupus

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.
Dieser Text stellt einige dunkle Biographien vor und mahnt an, dass uns die Zwischen-Menschlichkeit fehlt.

Weiterlesen …

von Christian

Gesellschaftskritik

Wegwerfgesellschaft

In harten, anklagenden Worten rechne ich mit der Gesellschaft ab. Aber warte mal, findet sich da nicht auch ein bisschen Selbstkritik?

Weiterlesen …