Die Chemie stimmt

Wenn ich erzähle, dass ich promovierter Chemiker bin, bekomme ich häufig die gleiche Reaktion:
Mit einem leicht angewiderten Gesicht erklärt mir meine Gesprächspartnerin (ja, in diesen Fällen sind es meistens Frauen) dann: "Chemie habe ich in der Schule immer gehasst".

Dann werde ich still und frage mich insgeheim: Was soll das für eine Jugend gewesen sein, ohne Experimente, ohne Versuche, ohne "Mal schauen ob's klappt", ohne wissenschaftliche Theorien und neue Erkenntnisse?

Und wenn ich dann an mein Chemiestudium (genauer gesagt: Molecular Nano Science in Erlangen) zurückdenke, dann erinnere ich mich wieder an so viele tolle Situationen und Erfahrungen, die mich diese vielen Jahre vom Bachelor über den Master und hin zum Doktor begleitet haben.

Das finale Produkt meiner Doktorarbeit fluoresziert unter Bestrahlung mit UV-Licht.

Natürlich erinnere ich mich zuallererst an meine Moleküle, die ich synthetisieren durfte. Häufig waren es Moleküle, die noch nie ein Mensch zuvor hergestellt, gemessen und in den Händen gehalten hat.

So habe ich im Rahmen meiner Bachelorarbeit beispielsweise in der Arbeitsgruppe von Prof. Rik Tykwinski an Cumulenen geforscht.
Cumulene sind Kohlenstoffketten bestehend aus lauter Doppelbindungen. Das ist nicht sehr stabil und kommt in der Natur nicht so einfach vor. Und doch haben wir es geschafft, mein [5]Cumulen als Kristall zu züchten und die Kristallstruktur zu analysieren.

Die Ergebnisse aus meiner Bachelorarbeit "Synthesis of a tetramesityl substituted [5]cumulene" hat meine Bachelor-Betreuerin Johanna Januszewski in einem richtig tollen Paper eingearbeitet: Synthesis and Structure of Tetraarylcumulenes: Characterization of Bond‐Length Alternation versus Molecule Length. Damit haben wir es sogar auf die Titelseite der Angewandten Chemie geschafft.

Meine Perylene. So ein leuchtendes Knallrotorange habe sonst nur selten gesehen

Masterarbeit in Spanien

In meiner Masterarbeit wurde es dann blau.

Ich bin bei der organischen Chemie geblieben und konnte mich mit unglaublich interessanten und farbigen Molekülen - den Phthalocyaninen - beschäftigen. Auch Phthalocyanine kommen nicht in der Natur vor, finden aber in der Industrie als knallblaue und lichtechte Farbstoffe Verwendung.

Meine Masterarbeit mit dem Titel "Water-Soluble Phthalocyanines with Unsymmetrical Dendritic Functionalization" durfte ich dann auch ganz spontan in Spanien an der Universidad Autónoma in Madrid in der Arbeitsgruppe von Prof. Tomás Torres schreiben. Das war eine großartige Erfahrung in einer richtig tollen und aufgeschlossenen internationalen Gruppe. Da war es auch überhaupt nicht schlimm, sich mal aus seiner Komfortzone herauszutrauen und mal etwas ganz anderes zu probieren. In dem halben Jahr in Spanien habe ich nicht nur Spanisch gelernt, sondern natürlich auch Salsa tanzen

Meine fertig synthetisierten Moleküle habe ich zurück nach Deutschland gebracht. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dirk Guldi in Erlangen hat sie mit Lichtstrahlen beschossen, mit Ultraschall zerrüttelt und alles gemacht, was man halt als physikalischer Chemiker mit unschuldigen kleinen Molekülen so macht. Das Paper "Exfoliation of Graphene by Dendritic Water-Soluble Zinc Phthalocyanine Amphiphiles in Polar Media" wurde 2018 in Chemistry - A European Journal veröffentlicht.

Mein blaues Phthalocyanin wird säulenchromatographisch aufgereinigt, bevor es im nächsten Reaktionsschritt weiterverarbeitet wird

Promotion: viele bunte Farben

Nach meinem halben Jahr in Spanien bin ich nach Deutschland zurückgekehrt. Dort habe ich in der Arbeitsgruppe von Prof. Andreas Hirsch in Erlangen weiter an stark farbigen und natürlich hochinteressanten Molekülen geforscht: an den Porphyrinen und den Perylenen.

Meine Doktorarbeit mit dem Titel "Synthesis and Characterization of Amphiphilic Porphyrin-Perylene Dyads: Towards Optoelectronic Membranes in Water" (man merkt: je länger die Forschungszeit, desto komplizierter die Überschrift) habe ich 2019 fertiggestellt und im Januar 2020 verteidigt.

Während dieser Zeit habe ich gelernt, selbstständig Projekte zu planen, umzusetzen, es immer wieder und wieder neu zu probieren und sich von Fehlschlägen und Misserfolgen nicht vom Ziel abbringen zu lassen. Und Dinge erklären, das kann ich auch sehr gut.

Ich werde häufiger mal gefragt:
Was machst du eigentlich in deiner Doktorarbeit?

Ganz einfach:
Du kennst doch rote Blutkörperchen, oder? Ganz im Zentrum dieses Blutkörperchens steckt ein Porphyrin. Das ist dafür verantwortlich, dass im Blut Sauerstoff von der Lunge zu den Zellen transportiert werden kann und Kohlendioxid zurück. Außerdem kommen Porphyrine z.B. in Chlorophyll, also im Blattgrün vor. Dort kümmern sie sich darum, dass die Sonnenstrahlen aufgenommen und in chemisch verwertbare Energie umgewandelt werden. Porphyrine sind also wirklich wichtige Moleküle.

Diese Collage ist das Deckblatt für meine Doktorarbeit: Hier sind meine Moleküle in wellenförmigen Lipid-Doppelschichtstrukturen angeordnet. Im Vordergrund steht die Molekülstruktur meines Endproduktes, eine wasserlösliche Porphyrin-Perylen-Dyade.

Perylene hingegen sind erst einmal eines: Knallrot! Du kennst doch dieses typische Ferrari-Rot. Das sind Perylene! Außerdem können Perylene bis zu sechs Elektronen aufnehmen, was sie sehr interessant macht. Insbesondere in Verbindung mit Porphyrinen, die bei Lichteinstrahlung eher Elektronen abgeben.

Wenn man diese Porphyrine und Perylene jetzt also verbindet und das Ganze dann an einer Seite wasserlöslich macht und an der anderen Seite nicht, erhält man ein "teilweise-wasserlösliches" Molekül. Mehrere dieser Moleküle arrangieren sich dann selbstständig auf sehr interessante Möglichkeiten, z.B. in Kugeln, Schichten (ähnlich wie Lipid-Doppelschichten in den Zellmembranen), Rohren oder anderen Strukturen.

Wenn ich jetzt mein Molekül in Wasser löse und dann (Sonnen-)Licht einstrahle, dann kann ich messen, dass ein Elektron vom Porphyrin zum Perylen springt. Ich habe also einen Elektronenübergang, geladene Teilmoleküle und eine richtig knallgelb fluoreszierende Flüssigkeit.

Aha. Und wofür braucht man das jetzt?

Perylene bilden knallrote Lacke und Farben. Durch eine besondere Behandlung (Gefriertrocknung) konnte ich stattdessen super-fluffiges, knallrotes Perylen-Puder erhalten.

Auch ganz einfach.
Stell dir nur mal vor, du hast leitfähige Drähte bestehend aus selbst-arrangierenden Molekülen. In Wasser. Ohne Kurzschluss.

Stell dir mal weiter vor, dass durch Sonneneinstrahlung eine elektrische Ladung entsteht und die freigewordene Energie durch diese "Draht-Moleküle" fließen kann.

Und stell dir jetzt noch vor, wenn man Katalysatoren und Reaktionsträger dort in diesen selbst-arrangierten "Draht-Molekülen" einbetten würde.
Was man damit alles machen könnte! Wasserstoff aus Wasser herstellen durch Lichteinstrahlung. Wasser von Schmutzpartikeln befreien. Die teuerste Fluoreszenzwasserfarbe der Welt herstellen. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt!

Wow!

 

Diese Erklärung gibt's natürlich auch gerne noch mal eine Spur wissenschaftlicher:

Perylen-Fluoreszenz in unterschiedlichen Konzentrationen. Je verdünnter die Lösung, desto heller die Fluoreszenz.
Ich habe unsymmetrisch substituierte Porphyrine mittels einer optimierten, schrittweisen Vilsmeier-Synthese hergestellt. Diese wurden dann mit einem (ebenso unsymmetrischen) Perylen über eine lineare, starre Brücke verbunden. Die Synthese und insbesondere die Aufarbeitung des Perylens konnte ich im Vergleich zur Literatur noch einmal deutlich verbessern.

An diese Dyade knüpfte ich ein Newkome-Dendron, um Wasserlöslichkeit in basischem pH herzustellen. Dadurch ist es mir gelungen, erstmalig eine amphiphile Porphyrin-Perylen-Dyade herzustellen und ausführlich zu charakterisieren. Dabei konnte ich intermolekulare Aggregationen und einen Elektronen-/Energietransfer zwischen Porphyrin und Perylen in Wasser nachweisen.

Falls du es noch einmal etwas (viel) wissenschaftlicher möchtest, kannst du die ganze Geschichte gerne in meiner Doktorarbeit nachlesen.

Ein Anregungs-Emissions-Spektrum meines Moleküls. Kurz erklärt: Bei unterschiedlichen Anregungswellenlängen fangen unterschiedliche Teile meiner Dyade an zu leuchten.

Laborleitung und Ausbildung meiner Studenten

Neben meinen Molekülen haben meine Studenten einen großen Teil meiner Aufmerksamkeit für sich beansprucht.

Als Laborleiter und Praktikumsleiter war ich verantwortlich für die Ausbildung von über 250 Bachelor- und Masterpraktikanten.
In mehreren Blockpraktika pro Jahr habe ich meine Studenten betreut, mündliche Testate durchgeführt und mir die Zeit genommen, die Begeisterung für die Chemie zu vermitteln und vorzuleben.

Meine Studenten haben mir hier immer wieder die Rückmeldung gegeben, wie lehrreich und spannend die Gespräche mit mir waren.
Ich habe nicht nur Wert darauf gelegt, Wissen abzufragen (immerhin möchte man ja sicherstellen, dass die Studenten ganz genau wissen, mit welchen Gefahrstoffen sie hantieren), sondern auch immer die Grenzen des Wissens auszutesten und zu hinterfragen. Neue Hypothesen aufstellen, den chemischen Sachverstand nutzen und mit mir als Sparringspartner zu neuen Erkenntnissen gelangen.

Beim Laborbetrieb habe ich immer viel Wert darauf gelegt, dass meine Studenten ihre Ellbogen einfahren und gemeinschaftlich als Team miteinander arbeiten. Dass sie die analytischen Gerätschaften sorgsam und verantwortungsbewusst nutzen. Dass sie sich gegenseitig unterstützen und aufeinander Rücksicht nehmen (denn wenn ich brennen würde, dann hätte ich auch gerne, dass mein Team versucht mich zu löschen ).

Im Nachhinein erkenne ich durch meine Studenten und meinen Fokus auf eine gute Ausbildung, was mir eigentlich schon immer klar war:
Ich bin ein Mentor. Ich bin ein Lehrer. Ich bin ein Coach.

Andere Menschen auf ihrem Weg zu begleiten, ihnen die bestmögliche Ausbildung zuteil werden zu lassen und ihnen zu helfen, über sich selbst heraus zu wachsen - das ist das, was mich morgens aufstehen lässt.

Und dann ist es auch völlig egal, ob ich als Chemiker, Laborleiter oder als Coach in der Softwareentwicklung arbeite: Gute Lehrer werden überall gebraucht.

Chromatographische Trennung meiner fertigen Dyade (braun) vom Perylen (gelb) und Porphyrin (lila). In meinem Labor ging es wirklich bunt zu.

Das Fazit

Wenn ich versuchen müsste, meine Promotion zusammenzufassen, dann besteht sie aus diesen Zahlen:

  • 4 Zielmoleküle
  • 264 einzelne Reaktionen laut Laborjournal.
  • daraus haben es 37 Reaktionsvorschriften in die Dissertationsschrift geschafft, der Rest waren größtenteils Misserfolge und Sackgassen.
  • 18- bis 21-stufige aufeinander aufbauende Reaktionskaskaden bis hin zu meinen fertigen, wasserlöslichen Molekülen.
  • 5,48 GB an Spektrendaten (Fluoreszenz, UV-Vis, IR, Masse, NMR, ...)
  • 7 Jahre Forschung, davon 4 Jahre an der Uni und 3 weitere Jahre nebenbei während meiner Teamleiterrolle in der Softwareentwicklung... (liebe Kinder, macht das bitte nicht nach )

 

Wenn ich mir diese Aufzählung so anschaue, dann beginne ich nachzuvollziehen, wie man Chemie hassen kann

 

Daher schließe ich die Zusammenfassung noch einmal mit ein paar angenehmeren Zahlen ab:

  • Ich habe mehr als 250 Studenten durchs organisch-chemische Praktikum gebracht.
  • Ich habe 1 Bachelorarbeit und 7 Masterpraktikanten betreut.
  • Meine Dissertationsschrift besteht aus 283 Seiten...
  • ... und hat 303 wissenschaftliche Referenzen.
  • Zu meiner Prüfung gab es 1 echt tollen Promotionsvortrag (mein Prof. sagt: der beste, den er je gehört hat )
  • Und ich habe mir 1 cooles 3D-Modell meines Moleküls drucken lassen.
  • Zusätzlich habe ich 1 brandneue und viel-versprechende, basische Porphyrinsynthese (in halbwegs ordentlicher Ausbeute) entdeckt. So etwas wurde noch nie zuvor in der Literatur beschrieben und ich bin richtig stolz drauf (Details: Kapitel 12 in der Doktorarbeit).

 

Mein 3D-gedrucktes Molekül. Es ist noch mal etwas ganz besonderes, mein Molekül in den Händen zu halten und nicht nur darüber zu schreiben.

Kommentare zu meiner chemischen Laufbahn

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